7 Grundnarrative: Warum wir alle dieselben Geschichten erzählen

Und was das für unser Storytelling als Herzstück der Kommunikation bedeutet.

Geschichten begleiten uns seit Anbeginn der Menschheit. Sie unterhalten, erklären die Welt und verbinden Menschen miteinander. Ob in Mythen, Romanen, Filmen oder Marketingkampagnen. Gute Stories fesseln und bleiben im Gedächtnis. Doch was, wenn im Kern alle Geschichten auf wenige universelle Muster zurückzuführen sind?

Storytelling ist weit mehr als eine Technik, es ist die älteste Form der Wissensweitergabe. Fakten allein erreichen unser Publikum selten. Erst in Geschichten verwandelt, lösen sie Emotionen aus, werden verstanden und bleiben im Gedächtnis. Für uns Kommunikatorinnen und Kommunikatoren ist das Erzählen überzeugender Geschichten daher ein zentrales Werkzeug.

Doch welche Strukturen machen Geschichten so wirksam? Hier setzen verschiedene Theorien an, die die Vielfalt der Erzählungen auf wenige Urplots oder Grundnarrative zurückführen.

Drei prägende Theoretiker

  • Joseph Campbell (1904–1987) war ein amerikanischer Mythenforscher, bekannt für The Hero with a Thousand Faces aus dem Jahr 1949. Campbell entwickelte das Konzept des Monomythos oder der Heldenreise, eine universelle Struktur, die in vielen Mythen und modernen Filmen vorkommt, zum Beispiel in Star Wars.

  • Georges Polti (1867–1946) war ein französischer Schriftsteller, der bereits 1895 in The Thirty-Six Dramatic Situations 36 Grundkonflikte identifizierte. Sein Ansatz ist detaillierter, hat sich jedoch in der Praxis weniger durchgesetzt.

  • Christopher Booker (1937–2019) war Journalist und Autor. In seinem 2004 erschienenen Werk The Seven Basic Plots: Why We Tell Stories beschreibt er sieben archetypische Erzählmuster, die sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte ziehen.

Die sieben Grundnarrative nach Christopher Booker

Booker argumentiert, dass sich fast alle Erzählungen auf diese sieben archetypischen Handlungsstrukturen reduzieren lassen. Jede von ihnen löst bestimmte Erwartungen und Emotionen im Publikum aus. Wie viele kommen euch davon bekannt vor? Und kennt ihr weitere?

1. Überwindung des Monsters

Eine Hauptfigur steht einer mächtigen Bedrohung gegenüber, sei es ein Drache, ein Tyrann oder eine Naturgewalt, und muss sie besiegen.


Beispiele: Beowulf, Der weisse Hai, Harry Potter und der Stein der Weisen

2. Rags to Riches

Eine Figur beginnt in bescheidenen oder erniedrigten Verhältnissen und steigt durch Mut, Talent oder Glück auf. Am Ende steht Erfolg oder Erfüllung.


Beispiele: Cinderella, Slumdog Millionaire, Rocky

3. Die Reise/Die Suche

Eine Gruppe oder eine Hauptfigur begibt sich auf eine Mission mit einem klaren Ziel, überwindet Hindernisse und kehrt verändert zurück.


Beispiele: Der Herr der Ringe, Indiana Jones, Harry Potter und der Feuerkelch

4. Reise und Rückkehr

Die Hauptfigur betritt eine fremde, oft gefährliche Welt, erlebt Abenteuer, lernt dazu und kehrt weiser zurück.


Beispiele: Alice im Wunderland, Die Chroniken von Narnia, Avatar

5. Komödie

Verwicklungen, Missverständnisse oder Konflikte sorgen für Chaos, das sich am Ende in Harmonie auflöst.


Beispiele: Shakespeares Viel Lärm um nichts, Notting Hill, Friends

6. Tragödie

Eine Figur scheitert an eigenen Schwächen, Hybris oder einem verhängnisvollen Fehler, oft mit fatalem Ende.


Beispiele: Macbeth, Hamlet, Der grosse Gatsby

7. Wiedergeburt

Die Hauptfigur verfällt in eine Krise oder moralische Starre, erlebt einen Wendepunkt und wird innerlich erneuert.


Beispiele: Eine Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens, Die Schöne und das Biest, Iron Man.

Viele Geschichten enthalten Elemente aus mehreren dieser Grundnarrative. Ein Film kann zum Beispiel eine „Reise“ erzählen, die zugleich eine „Wiedergeburt“ der Hauptfigur beinhaltet, oder eine „Komödie“, die mit Elementen von „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ verwoben ist. In der Regel lässt sich jedoch ein Narrativ identifizieren, das den Hauptplot dominiert und der Geschichte ihre grundlegende emotionale Struktur gibt.

Test der Theorie: Die sieben Grundnarrative in den bekanntesten Geschichten der Welt

Die Theorie von Christopher Booker klingt faszinierend, aber funktioniert sie auch in der Praxis? Um das herauszufinden, lohnt sich ein Blick auf einige der bekanntesten Geschichten der Welt. Diese Erzählungen stammen aus ganz unterschiedlichen Zeiten und Kulturen, haben aber gemeinsam, dass sie weltweit bekannt und über Generationen hinweg weitererzählt worden sind. Spannend ist: Jede von ihnen lässt sich einem der sieben Grundnarrative zuordnen, oft mit zusätzlichen Nebensträngen.

10 bekannte Geschichten und ihre Grundnarrative

  1. David und Goliath – Hauptnarrativ: Überwindung des Monsters, Nebennarrativ: Die Reise/Suche.

  2. Romeo und Julia – Hauptnarrativ: Tragödie, Nebennarrativ: Komödie.

  3. Die Odyssee – Hauptnarrativ: Reise und Rückkehr, Nebennarrativ: Überwindung des Monsters.

  4. Der König der Löwen – Hauptnarrativ: Wiedergeburt, Nebennarrative: Tragödie und Die Reise.

  5. Der kleine Prinz – Hauptnarrativ: Reise und Rückkehr, Nebennarrativ: Wiedergeburt.

  6. Die Tribute von Panem – Hauptnarrativ: Überwindung des Monsters, Nebennarrative: Die Reise/Suche und Vom Tellerwäscher zum Millionär.

  7. Star Wars: Episode IV – Eine neue Hoffnung – Hauptnarrativ: Die Reise/Suche, Nebennarrativ: Überwindung des Monsters.

  8. Noahs Arche – Hauptnarrativ: Überwindung des Monsters, Nebennarrativ: Wiedergeburt.

  9. Frozen – Hauptnarrativ: Wiedergeburt, Nebennarrative: Reise und Rückkehr, Überwindung des Monsters.

  10. Titanic – Hauptnarrativ: Tragödie, Nebennarrative: Komödie (im ersten Teil), Überwindung des Monsters (Naturgewalt).

Ein universelles Muster

Dieser kleine Praxistest zeigt: Bookers sieben Grundnarrative sind erstaunlich robust. Selbst Geschichten, die sich in Genre, Tonfall und Epoche stark unterscheiden, folgen im Kern einem dieser Muster. Mischformen sind häufig, doch meist dominiert ein zentrales Narrativ, das der Handlung Struktur und emotionale Wirkung verleiht. Für alle, die beruflich “Geschichten erzählen”, ist dieses Wissen ein wertvolles Werkzeug.

Weiter
Weiter

Wie Sprache unser politisches Denken formt